Philvent – die vierundzwanzigste Tür

© Ramona Heim
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Ich wünsche euch eine frohe Philventszeit! Hä? Ja, richtig gehört. Das ist die Zeit der 24 kleinen Geschichten. Jeden Tag eine neue. Und jede neue übertrifft die vorige um einen Satz. Bis zum 24. Dezember, Philnachten, geht das so.

Es war einmal der Prinz. Der kam auf den Hof und rief: „Wo ist die Prinzessin?“
„Welche Prinzessin?“, wollten die Leute wissen.
„Ich bin ihr vom Ball gefolgt, und sie ist hier auf den Hof geritten“, erklärte der Prinz.
Die Leute lachten. „Hier gibt es keine Prinzessinnen!“
Der Prinz überlegte lange. Doch er hatte sie durch das Tor reiten sehen. „Vielleicht ist sie keine Prinzessin. Führt mir alle jungen Frauen vor, die hier auf dem Hof leben!“
Man tat, wie er verlangte. Bald schon sah er sich viel (mehr oder weniger) holder Weiblichkeit gegenüber. Doch konnte er sich nicht entscheiden, welche diejenige war, die er suchte. Er zog den Schuh hervor und rief: „Ich werde sie an ihrem schlanken Fuß erkennen! Diejenige, der dieser Schuh passt, soll meine Frau werden.“
„Welche Größe?“, rief ein vorlautes Mädchen.
Der Prinz schaute nach. „36.“
Doch gleich mehrere der anwesenden Damen behaupteten, sie trügen Schuhe in genau dieser Größe. Und tatsächlich passte der Schuh jeder von ihnen (abgesehen von einer, die wohl geschummelt hatte, und die trotz abgehackter Zehen mit ihre haarigen Hinterpranken nicht in das Tanzschühchen hineinkam).
„Füße werden ohnehin überbewertet“, sagte der Prinz, wählte einfach das Mädchen, das ihm am besten gefiel und fragte: „Willst du meine Frau werden, Prinzessin an meiner Seite und zukünftige Königin?“
Die Erwählte schaute ihn an und antwortete: „Lieber brödel ich mein Leben lang in der Asche!“
Schöne Bescherung!
„Schöne Bescheeeeerung!“, riefen die Leute.

Philvent – die dreiundzwanzigste Tür

© Ramona Heim
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Ich wünsche euch eine frohe Philventszeit! Hä? Ja, richtig gehört. Das ist die Zeit der 24 kleinen Geschichten. Jeden Tag eine neue. Und jede neue übertrifft die vorige um einen Satz. Bis zum 24. Dezember, Philnachten, geht das so.

Sonntag, 4. Advent. Der Kranz leuchtet hell. Vier Kerzen verkünden nun das Unweigerliche. Das Unvermeidbare. Den Tod. Keine Zeit mehr. Ich habe mich erkundigt. Morgen wird man mich ins Haus holen. Zum Essen. Höhepunkt der Feierlichkeiten. Wenigstens musst du dann nicht mehr frieren, haben mir die gesagt, die Mitleid mit mir haben. Wenigstens hältst du dann den Schnabel, sagten die anderen. Ja, mir ist jetzt schon heiß. Und meinen Schnabel werde ich verlieren. Da kommen sie! Ist es schon so weit? Nein, sie schauen nur, ob ich kräftig und gesund bin. Das Futter war gut. Aber ich zittere. Obwohl mir ganz und gar nicht kalt ist. Habe ich Fieber? Werde ich krank? Das ist es: frohe Weihnachten!

Philvent – die zweiundzwanzigste Tür

© Ramona Heim
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Ich wünsche euch eine frohe Philventszeit! Hä? Ja, richtig gehört. Das ist die Zeit der 24 kleinen Geschichten. Jeden Tag eine neue. Und jede neue übertrifft die vorige um einen Satz. Bis zum 24. Dezember, Philnachten, geht das so.

Irgendetwas stimmte nicht. Sie schaute lange aus dem Fenster. Begriff nicht, was es war. Sie schüttelte den Kopf und setzte sich wieder vor den Fernseher. Sie zappte durch die Programme. Keines konnte sie lange begeistern. Hunger. Sie ging zum Kühlschrank. Ein Joghurt. Ein Apfel. Und die Schachtel mit dem Rest vom Stollen, den die Mutter ihr geschickt hatte. Sie schloss den Kühlschrank, öffnete ihn aber gleich wieder. Eine Möhre. Sie betrachtete sie lange und ging wieder zum Fenster. Der Schneemann. Er war nicht mehr da. Gestern hatte sie ihm noch gewunken. Heute war er weg. War das seine Spur dort im Schnee? Sie ging in den Garten. Vergaß den Hunger. Eine Botschaft im Schnee: Bei dir war mir zu kalt.

Philvent – die einundzwanzigste Tür

© Ramona Heim
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Ich wünsche euch eine frohe Philventszeit! Hä? Ja, richtig gehört. Das ist die Zeit der 24 kleinen Geschichten. Jeden Tag eine neue. Und jede neue übertrifft die vorige um einen Satz. Bis zum 24. Dezember, Philnachten, geht das so.

„Du bist zu früh!“
„Bin ich nicht, alter Sack!“
„Na, dann schau mal in den Kalender, Löffelchen.“
„Kannst mir glauben, ich wär auch lieber im Nest geblieben. Anweisung von oben. Soll dir helfen, weil du das in deinem Alter nicht mehr allein auf die Reihe kriegst.“
„Das hat – wenn überhaupt – nichts mit meinem Alter zu tun, sondern  damit, dass die Wünsche nicht gerade bescheidener werden.“
„Wie auch immer.“
„Wie auch immer. Du kommst trotzdem zu früh. Weihnachten ist erst in drei Tagen.“
„Und vorher hast du nix zu tun?“
„Ein bisschen Gartenarbeit.“
„Aha. Hast du auch Möhrchen?“
„Wer wünscht sich schon Möhrchen? Außerdem wird alles genau abgezählt eingepflanzt. Überproduktion is nich.“
„Ich hab jedes Jahr Eier übrig.“
„Lass stecken!“
„Würden aber gut zu deiner Rute passen.“

Philvent – die zwanzigste Tür

© Ramona Heim
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Ich wünsche euch eine frohe Philventszeit! Hä? Ja, richtig gehört. Das ist die Zeit der 24 kleinen Geschichten. Jeden Tag eine neue. Und jede neue übertrifft die vorige um einen Satz. Bis zum 24. Dezember, Philnachten, geht das so.

Die Entscheidung war gefallen! Er wollte kein Risiko eingehen. Er durfte kein Risiko eingehen. Nicht an einem Heiligen Abend, an dem er zum ersten Mal der Gastgeber war. Nicht bei einem Abendessen, das er noch nie zuvor gekocht hatte. Nun stand er in seiner Küche und betrachtete die Zutaten für das Festessen. Sicher, es war ein wenig verschwenderisch. Doch zu einem solchen Anlass musste er sich einfach einen Probedurchlauf leisten. Ein Testkochen vier Tage vor dem Fest.

Er begann mit der Beilage, wollte sich sozusagen eingrooven. Er hielt das für eine gute Idee. Aufmerksam studierte er das Rezept. Er hatte es seiner Mutter aus dem Kreuz geleiert. Die hielt sein gesamtes Vorhaben offenbar für eine weit weniger gute Idee. Aber sie traute ihm ja kaum zu, die eigenen Schuhe zuzubinden. Tatsächlich war er allerdings selbst nach mehreren Anläufen nicht zufrieden. Er entschied sich nach dreistündigem vergeblichen Bemühen dazu, sich auf die Hauptspeise zu konzentrieren, deren Zubereitung ihm ein wenig unkomplizierter schien, und die Beilage fertig zu erstehen. Wirklich war er schließlich nach nur zwei Versuchen, als der zarte Fleischgeschmack seine Zunge umschmeichelte, überzeugt, es schmecke fast so gut wie bei Muttern.

Der Stolz auf das Vollbrachte verführte ihn dazu, sich gleich an seinen Computer zu setzen und eine weihnachtliche Speisekarte zu entwerfen. Ein Seufzen entfuhr ihm, als er die Buchstaben betrachtete: „Heiße Würstchen mit Kartoffelsalat“.