Der Minitipp: Den Bogen spannen

Minitipp, Foto: Diego Barbieri / Shutterstock.com
© Diego Barbieri / Shutterstock.com

Wir beobachten die Schützin. Plötzlich spannt sie den Bogen! Und auch wir sind gespannt, was geschieht, wenn sie die Sehne loslässt. Doch noch erfüllt sich unsere Erwartung nicht. Mögen wir geglaubt haben, die Sehne sei schon zum Zerreißen gespannt, die Schützin zieht sie noch ein weiteres Stück an.

Gerade, als wir sicher sind, nun werde sie den Pfeil davonschnellen lassen, lockert sie ihren Griff noch einmal ein wenig. Wieder spannt sie den Bogen. Jetzt noch straffer als zuvor. Noch mehr. Und noch mehr. Die Anspannung presst uns den Schweiß auf die Stirn, die Erwartung lässt uns zittern. Es scheinen Jahre zu vergehen, dann endlich geschieht, was wir von Beginn an erwartet haben: Die Spannung löst sich, der Pfeil springt von der Sehne, um das endgültige Ergebnis zu dokumentieren.

Ein Spannungsbogen, wie er (hoffentlich) im Buche steht.

5 Antworten auf “Der Minitipp: Den Bogen spannen”

  1. Genauso spannend ist der Zen-Spuch, der ganz gut zu dieser Spannungs-Darstellung passt:
    „Ein Wort ist wie ein Pfeil, wenn er einmal los gelassen, bringt ihn keine Macht der Welt zurück.“

    Lieben Gruß
    Kariologiker

  2. Hast du vielleicht auch ein echtes Beispiel, für so einen schönen Spannungsbogen zur Hand? Gefällt mir gut die Idee und würde gern mal damit experimentieren…

    1. Nun, Beispiele für Spannungsbögen gibt es unendlich viele, denn ein Spannungsbogen ist grundlegend immer gleich aufgebaut. Er entsteht, wenn eine Erwartung geweckt und nicht umgehend eingelöst wird.

      Wenn ich dir in 14 Tagen überraschend etwas schenke, freust du dich vielleicht, hast es aber nicht erwartet und bist dementsprechen nicht gespannt gewesen.
      Wenn ich dir heute sage, dass ich dir in 14 Tagen etwas schenken werde, wecke ich eine Erwartung in dir und lasse somit einen Spannungsbogen entstehen.
      Diesen Spannungsbogen kann ich gestalten, indem ich die Erwartung nähre und/oder das Einlösen dieser Erwartung verzögere. Ich kann dir zunächst sagen, du würdest in 14 Tagen eine Überraschung erleben und dir dann täglich neue Details verraten, die dich immer neugieriger machen, ohne dass du erraten kannst, wie die Lösung aussieht. Ich könnte dir in Aussicht stellen, dass ich es dir schon in einer Woche schenke und dich dann mit einer Ausrede versetzen.
      Kurz, der Spannungsbogen entsteht, sobald ich eine Erwartung beim Leser wecke. Einen Spannungsbogen zu gestalten, bedeutet, Mittel und Kniffe anzuwenden, die diese Erwartung beim Leser hoch halten, forcieren und erneuern.
      Der Krimileser erwartet, die Antwort auf die Frage nach dem Mörder zu bekommen, der Autor sorgt dafür, dass die entsprechende Frage von Interesse und geheimnisvoll bleibt.

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