Es ist der Autor, der sich überlegen muss, welcher Auftrag an den Erzähler für die Geschichte, die erzählt werden soll, der richtige ist. Eine Entscheidung, bei der er sich nur wenig Hilfe erhoffen kann. Denn obwohl sie eine so wichtige ist, ist sie keine, die unabdingbar zum Gelingen oder Scheitern führt.
Unterschiedliche Erzählsituationen können aus ein und derselben Grundidee, ja, sogar aus ein und demselben Plot zwei unterschiedliche Geschichten entstehen lassen, die sich gegenseitig in nichts nachstehen. Die Wahl der Erzählsituation ist von der Intention des Autors abhängig. Wie bei jedem anderen seiner sprachlichen und erzählerischen Stilmittel wird er also die Frage bewntworten müssen: Was will ich damit erreichen?
Die Erzählsituation, so wichtig sie ist, bleibt dabei eben nur ein Mittel von vielen, das der Autor mit allen anderen in Einklang bringen muss. Und es gibt keine einfachen Rezepte. Jede Erzählsituation hat ihre Vor- und ihre Nachteile.
Ich oder Er?
Ein Erzähler, der als Ich aus seiner eigenen Sicht erzählt, kommt der natürlichen Erzählsituation, in der wir uns auch in der realen Welt befinden, zweifelsfrei am nächsten. Ein guter Grund, ihn noch unerfahrenen Autoren als guten Einstieg zu empfehlen. Nahezu alle Besonderheiten solchen Erzählens ergeben sich bei ein wenig reflexivem Überdenken von selbst.
Die Risiken folgen auf dem Fuße. Ob handelndes oder erzählendes Ich – sich stets bewusst zu bleiben, dass es sich um eine Figur außerhalb unseres Selbst handelt, ist nicht immer leicht.
Für den Leser ist es angeblich nicht möglich, näher an eine Figur heranzukommen als an ein erzählendes Ich. Keine Erzählsituation sorge beim Leser für mehr Sympathie- und Indentifikationsvermögen.
Da ist sicher etwas Wahres dran. Letztlich ist das aber wohl auch vom jeweiligen Leser abhängig. Ziemlich sicher ist, dass ein Ich beim Leser für ein hohes Maß an Vertrauen in die Authentizität des Erzählers sorgt. Das Gefühl, die Geschichte aus erster Hand erzählt zu bekommen, spielt eine große Rolle, selbst dann, wenn der Leser sie als eindeutig fiktiv akzeptiert.
Man darf aber auch nicht unterschätzen, dass das Ich für den Leser damit zu einem eindeutigen Du wird. Ein Gegenüber! Die Geschichte ist somit im besten Fall die eines guten Freundes.
Personales Erzählverhalten aus der Sicht einer dritten Person kann in dieser Hinsicht eventuell sogar mehr erreichen. Ein Erzähler, der sich selbst vollkommen zurücknimmt und in den Kopf der Figur schlüpft, nimmt im besten Fall den Leser mit sich. Wie könnte für diesen die ungebrochene Nähe, ja sogar die Identifikation mit der Figur größer ausfallen? Sicher ein guter Grund dafür, dass personalisierbare Romane (zumindest die, die ich kenne) eben nicht das erzählende Ich wählen.
Auktorial oder personal?
Wer die bisherigen Artikel dieser Reihe gelesen hat, ahnt es schon: Die Frage polarisiert, wo es eigentlich keine eindeutigen Pole gibt. Auktoriales Erzählen ist ein weites Feld. Es kann von einem Erzählverhalten reichen, das nur minimal von personalem abweicht, bis zu einem, das sich grundlegend von personalem Erzählen unterscheidet. Demzufolge können einen Autor ganz verschiedene Motive dazu bringen, seinen Erzähler zum auktorialen Erzählen zu veranlassen. Etwa, um den Fokus des Lesers auf die Gesamtzusammenhänge zu richten oder um das Erzählte ironisch zu brechen.
Und natürlich gilt wieder, dass das Erzählverhalten nur einen Weg zum Ziel darstellt, der bestenfalls eine grobe Richtung vorgibt und der durch Zuhilfenahme anderer Mittel geebnet, gekreuzt oder gar umgekehrt werden kann.
Daher sind die folgenden Punkte kaum mehr als blasse Wegmarkierungen auf verwitterten Steinen:
- Personales Erzählverhalten gilt als das modernere. Es löst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das auktoriale immer mehr ab.
- Personales Erzählen legt den Fokus auf die Figur (den jeweiligen Perspektivträger) und muss daher mit einer stark eingeschränkten, subjektiven Perspektive auskommen, auktoriales Erzählen ermöglicht den Blick auf das große Ganze (Gesellschaftsroman des 18. und 19. Jhs., Historischer Roman, Epische Fantasy).
- Beim personalen Erzählen taucht der Erzähler hinter der Figur ab, beim auktorialen Erzählen ist der Erzähler für den Leser präsent.
- Personales Erzählen ist so dicht wie möglich an der Figur, genauer: in der Figur, auktoriales Erzählen wahrt Distanz zur Figur.
- Beim personalen Erzählen wird das Erzählte durch die subjektive Sicht der Figur bestimmt, ein auktorialer Erzähler kann das Erzählte durch seine Brille betrachten, vermitteln, kommentieren und werten.
- Bezüge zwischen erzählter Zeit und Zeit des Erzählens kann nur der auktoriale Erzähler herstellen, der sogar in der Lage ist, sich direkt an den Leser zu wenden.
Das soll es vorerst von mir zum Beruf des Erzählers gewesen sein. Ich hoffe, ich konnte den einen oder anderen interessanten Einblick bieten.
Auktoriale Narration ist für mich der einzig wahre Weg. Damit besteht keine Qual der Wahl.
Na ja, wenn deine Geschichten so sind, dass auktoriales Erzählen die beste Wahl darstellt, ist ja alles gut. 😉